Burn down Schwabylon

Mich packt heut der Übermut und ich nutze eine – sich wohl just in diesem Augenblick endgültig und für alle Zeiten schließende –  Gesetzeslücke, die mir (hoffentlich) noch bis heute 15 Uhr, die Veröffentlichung eines tollen Gastbeitrages weitestgehend folgenlos ermöglicht ;-) Wozu eine virtuelle Dissbattle doch gut sein kann. Getreu dem Motto „was sich neckt, das respektiert sich“, hat sich die Gruebelei einen Lurch geangelt. Ganz und gar unschwäbisch wortreich und auch nicht mit Ironie geizend, erhellt dieser heute unsere blinden Flecken auf dem Gebiet des sagenumwobenen „Schwabenderbys“ – immer mit einem großen gelbschwarzen Salamanderzwinkern natürlich. uhg80 schreibt:

Hier im Südwesten ticken die Kuckucksuhren anders. In den, an dieser Stelle sonst vorwiegend begrübelten Standorten Berlin und Gießen, geht es entweder um Meisterschaft und Europapokal oder das nackte Überleben. Aber für die so ausgeglichene Beko-BBL gilt fraglos, was Wirtschaftpolitiker aller Fraktionen seit Jahrzehnten bei jeder Gelegenheit in die Mikrophone blöken: Das Herz Deutschlands ist der Mittelstand.

Nirgendwo sonst wird diese These so viele Anhänger finden, wie hier in Schwaben, personifizieren die Teams aus Tübingen, Ulm und Ludwigsburg doch seit Jahren das Mittelmaß der Liga. Alles graue Mäuse außerhalb der Region, da kann man flussaufwärts seine Halle innen noch so pastellrosa anstreichen. Am Neckar, wie auch in der Stadt mit dem Turm, zieht das Basketballjahr wieder und wieder beschaulich seine Kreise. Mal gewinnt man, mal verliert man. Heute schielt man eine Zeit lang verstohlen auf die Playoffs, nach der nächsten Niederlage behält man morgen den Abstand zu den Abstiegsplätzen im Hinterkopf. Am Ende aber dümpeln alle meist zwischen Platz 10 und Platz 15 herum und bilden den schwäbischen Cluster im tabellarischen Niemandsland. Da passt es auch ins Bild, dass Ludwigsburgs Präsident Alexander Reil vor dieser Saison kein konkretes Ziel mehr ausgeben wollte, sondern nebulös von einer „langfristigen Entwicklung“ sprach. In Tübingen sieht es auch nicht groß anders aus. Das Ludwigsburger Hallenheftchen zitiert die Herren Wintermantel und Perovic mit: „Wir wollen besser sein als im Vorjahr.“ Respektive: „Wir können nichts versprechen. Nur, dass wir alles tun werden, um das bestmögliche Resultat zu erreichen.“

Keine Ziele, keine Ängste, keine Wünsche, keine Träume also? Keineswegs. Wir spielen einfach unsere eigene Meisterschaft um den ruhmreichen Titel „Die Nummer 1 im Ländle“ aus. Ob man letzte Woche Frankfurt geschlagen oder böse gegen Trier kassiert hat, ist dann erstmal egal. Das mag in den deutschen Basketballhochburgen so viel Glam haben, wie die als schönste prämierte Kuh auf der Landwirtschaftsausstellung Kempten, aber uns ist das wichtig! Mir zumindest. Allerdings sind die Kriterien, die einen Club dazu berechtigen, sich mit diesem schönsten aller Titel, die das Mittelmaß hergibt, schmücken zu dürfen, heftig umstritten. Zählt denn nun einfach die Tabellenposition am Ende der Hauptrunde oder gilt eine eigenständige Tabelle, die sich nur aus den Ergebnissen der Derbies speist?

In einem Punkt ist man sich aber einig: Wenn die Lokalrivalen kommen, dann schnappt man sich Fackeln und Mistgabeln, springt auf den nächsten Ochsenkarren und entert Kuhberg/Paul-Horn-Arena/Arena Ludwigsburg um im realitätszersetzenden Stroboskopflackern der Petroleumfunzeln seine Mannschaft zu einem wichtigen Schritt auf dem Weg zur Provinzmeisterschaft zu brüllen/mosern. Ein kleiner Schritt für die Liga, ein großer für Schwabylon.

Waren in der 90ern noch die Spiele gegen Ulm mit seinem furiosen Duo Jarvais Walker und Calvin Oldham das Maß aller Dinge in Ludwigsburg (damals gehörte es in der Rundsporthalle noch zum ‚guten’ Ton, dem klassischen Schlachtruf der Spatzen „Ulmer!Ulmer! …“ mit der weniger subtilen Ergänzung „ … Schweine!Schweine!“ mehr Informationsgehalt abzuringen), sind es seit den Zweitligaduellen und den Wiederaufstiegen beider Teams die Spiele gegen Tübingen, die hier die Speicheldrüsen in den dritten schalten lassen und das gefürchtete Schild „Topzuschlag“ ins Kassenhäuschen hängen.
Am Mittwoch ist es wieder soweit. Das reißt die Ludwigsburger Fans kurz aus der Lethargie, und vergessen ist die inoffizielle Vereinshymne; ein Blues, dessen Refrainzeile etwa „Statt Playoffs wieder mittelmäßiger Basketball im Mittelfeld“ lautet. Die Dunking Dukes werden eine schwarz-gelbe Wand auf der Stehplatztribüne aufbauen, und da die Farbkombination gelb-schwarz wenig Distinktionsgewinn bietet, werden sich die Tübinger Fans, die von Außenstehenden auf den ersten Blick kaum von Ludwigsburgern unterschieden werden können, wieder in gelb-schwarz hüllen und skandieren: „Uns’re Farben habt ihr nicht verdient!“

Vor dem ersten Derby 2010/2011


Dass die offizielle Tabelle der BBL für das Derby bestenfalls zweitrangig ist, sollte mittlerweile klar geworden sein. Der Vollständigkeit halber sei aber erwähnt, dass am 1. Dezember der Tabellenvierzehnte (Ludwigsburg, 8:14 Punkte) gegen den Zwölften spielt. Die Tübinger (8:10) haben neben Alba die wenigsten Spiele in der Liga absolviert und ihre Situation illustriert wunderbar, was es bedeutet, im von mir so redundant beschworenen Mittelfeld zu leben: Sollten die Walter Tigers das Derby gewinnen, stünden sie mit ausgeglichenem Punktekonto da. Wir blicken wieder auf die Tabelle und stellen fest: Hoppla, mit ausgeglichenem Punktekonto steht Trier momentan in den Playoffs. Müssten die Tiger am Mittwoch aber mit einer Niederlage im Gepäck die Heimfahrt antreten, bedeuteten 8:12 Punkte wiederum gerade mal zwei Pluspunkte Vorsprung vor einem Abstiegsplatz.

Der bisherige Saisonverlauf Tübingens sagt wenig aus. L L W W L W L L W lautet die Bilanz. Mal gewinnt man, mal verliert man. Nach dem beachtlichen Auswärtssieg mit 19 Punkten Vorsprung in Oldenburg folgten zwei Heimklatschen gegen Ulm und Bamberg, bei denen die Gäste jeweils die 100 knacken konnten. Zuletzt gab es am Samstag nach einer schwachen und einer starken Halbzeit einen Heimsieg gegen Braunschweig. Die Tigers dominierten dabei die Bretter nach Belieben (49 zu 33 Rebounds), und der aus Göttingen gewechselte Forward Chris Oliver legte spektakuläre 18/17 auf.

TigersTV hat Stimmen und Bilder:

Die bisherige Saison in Ludwigsburg ist geprägt durch eine nicht zuletzt verletzungsbedingt verpatzte Vorbereitung (alle Testspiele gegen Bundesligisten wurden verloren). In der Hauptrunde zog sich die Malaise ungebrochen fort. Die Lurche starteten mit zwei Heimniederlagen gegen Entenhausen und Gießen und blieben dabei jeweils unter 60 Punkten. Inzwischen sind die Verletzten aber wieder seit einiger Zeit an Bord und die Entschuldigungen somit aufgebraucht. Dringend benötigte ‚dreckige’ Punkte fuhr die EnBW am Sonntag nach Verlängerung gegen Bayreuth ein.

Alte Geschichten und bekannte Gesichter

Die Bilanz spricht eine recht eindeutige Sprache. Seit 2004 haben die Rivalen vom Neckar fünfzehnmal die Klingen in BBL und Pokal gekreuzt. Dabei blieb Ludwigsburg in elf Duellen siegreich. In Heimspielen gab es sogar sieben Siege bei nur einer Niederlage.

Diese stammt ausgerechnet aus der Saison 2006/07, als Ludwigsburg traumhaften Basketball spielte und die Hauptrunde auf Platz 2 abschloss (in ganz Deutschland, nicht in Schwaben).

Jerry Green, Ende der Spielzeit als MVP ausgezeichnet, wurde als Herzog verehrt und residierte im Barockschloss. Ihr dürft raten, wer in Stuttgart (beide Derbies jener Saison wurden auf neutralem Boden in der Porsche-Arena ausgetragen) den möglichen Sieg auf der Hand hatte und vergab. Na?

Hier die Auflösung (dazu reichlich obskurer Charme sowie eine Tröte):

Doch das 82:86 war nicht die einzige bittere Schlappe, die Ludwigsburg 06/07 gegen Tübingen einstecken musste. Im Hinspiel fuhr die Mannschaft von Silvano Poropat zwar einen deutlichen Sieg ein, aber Lurchi musste eine Schmach einstecken, die bis heute ungesühnt ist. Im Kampf der Maskottchen konnte der Salamander zwar die erste Runde für sich entscheiden, indem er ein schnuckeliges Tigerentchen Gassi führte. Doch ein paar Unterbrechungen später sprang Walter, der Tiger, plötzlich voller Tücke heran und fing Lurchi ein. In einem Netz. Boom, technischer K.O. in Runde 3.

Viel lieber erinnert man sich in Ludwigsburg an andere Derbies. Zum Beispiel an das Spiel vom 29.10.2004, als ein gewieftes litauisches Wiesel namens Andrius Giedraitis von irgendwo in der Nähe der Gästebank den Sieg einfuhr. VOR der Schlusssirene natürlich und ganz regulär. Der Blitz soll mich treffen, wenn ich lüge.

Diebische Freude auch letztes Jahr. Ausgerechnet der Ex-Tübinger Michael Haynes schießt Ludwigsburg in letzter Sekunde zum Sieg.

Haynes ist nicht der einzige, der das Derby schon auf beiden Seiten erlebt hat. Die personelle Durchlässigkeit zwischen beiden Clubs ist recht groß geworden. Tauchte die letzten Jahre pünktlich, wenige Tage vor dem Schlagabtausch, in der Presse die Meldung auf, Ludwigsburg wolle Rasko Katic verpflichten, haben Haynes, Richard Chaney und Tolga Öngören tatsächlich den Wechsel gewagt. Andere fuhren die B27 nach Süden. Tübingens Co-Trainer Radisa Zdravkovic spielte schon für Ludwigsburg, und auch Dane Watts begann seine Europakarriere in der Rundsporthalle, bevor er in der Universitätsstadt eine neue Heimat fand. Wegen einer gebrochenen Nase ist sein Einsatz am Mittwoch aber fraglich. Mit Sicherheit nicht auflaufen wird der frühere Tübinger Leistungsträger Bingo Merriex, dessen Vertrag in Ludwigsburg Ende November ausläuft.

Mittwoch, 1. Dezember, 19:30. Ich bin bereit.

Lurchi, bist Du bereit?

Lurchi ist bereit.

Seid Ihr bereit?

Prima! Let’s burn down Schwabylon.

8 Gedanken zu „Burn down Schwabylon

  1. Sehr schöner Post!
    Ergänzen müsste man aus Tübinger Sicht, dass im Gegensatz zu euch Ludwisgburgern für uns die Spiele gegen Ulm ein kleines bisschen wichtiger sind (und die Ulmer würden das genauso sehen). Das Derby gegen uns ist den Fans der anderen also jeweils das wichtigste. Schon allein deshalb ist Tübingen natürlich die Nummer eins im Land…

    • Danke für das Lob und die Ergänzung. Der Stellenwert des Derbys Ulm-Tübingen bei Euch und den Ulmern war für mich nur schwer einzuschätzen. Schön also, dass Du hier für Aufklärung gesorgt hast.

      Aber es tut schon weh, wenn ausgerechnet die Ulmer wichtiger sein sollten als wir. Ich erkläre das einfach damit, dass es für Euch gegen uns sowieso nichts zu erben gibt und Ihr Euch deswegen auf Ulm konzentriert. Wird man in Ulm genauso sehen: Gegen Tübingen gibt’s eher mal Punkte ;)

  2. Hehe, na, diese Theorie wird ja übermorgen einem schönen Test unterzogen… Und dann gleich mal falsifiziert ;)
    Aber zum Punkt: Mit Ulm ist in den letzten Jahren einfach mehr „passiert“ als gegen euch. Die Aufstiegsspiele 2003/04 mit insgesamt drei Verlängerungen; die zwei geklauten Punkte auf dem Kuhberg (wobei da Giedraitis‘ „Treffer“ und Uli Sledz‘ Diebstahl 2004 bei euch schwerer wiegen…); Thomas Stoll; der Ärger mit den Ordnern und den zugewiesenen Plätzen in Ulm; das Tübinger Comeback 2009 mit Haynes usw usw.
    Kann sich irgendwann wieder ändern, aber nach meiner Einschätzung sind die Ulm-Spiele auf Jahre hinweg ein klein wenig wichtiger als die gegen Lubu. Vielleicht fängt Reil ja mal an, ein Stoll-esque Verhalten an den Tag zu legen. Dann habt ihr wieder eine Chance…

  3. Danke OSB, danke uhg80. Die „Gesetzeslücke“ hat sich geschlossen… und meine Bildungslücke über den schwabylonischen Basketball schließt sich mit diesem Text ein Stück und hoffentlich in der Zukunft auch weiter Stück für Stück, denn ein Wort, liebe OSB, fehlt ja eigentlich in der Einleitung: „Ab“ heute und nicht nur heute wollen wir die Landkarte der begruebelten Standorte ein Stück weit ergänzen… auch auf die Gefahr hin, dass ich in den Diss-Battles dann vielleicht noch älter und bemühter ausschaue.

  4. Hmm, das Derby hatte wohl genug Spannung… Aber schade, dass die Arena mal wieder so leer war. Könnte ja auch am Wochentag liegen…

  5. Pingback: Bloggeburtstag: Die Gruebelei wird zwei « gruebelei.de – Ansichten eines Basketballfans

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