Die Mär der „Faszination Pokal“

Wie zu erwarten war, hab ich für meine Position zum Pokal Mecker bekommen und stehe unter den Fans ziemlich einsam da. Doch nicht nur dort, auch in der Sportpresse erheben gewichtige Stimmen ihr Wort gegen den neuen Pokal. Ein kurzer Blick auf die Presse und ein paar ganz handfeste Argumente gegen die Faszination des Pokals als angeblich so tolle „Sehsucht des Sports“.

Teil 1: Das sagen die anderen

Sebastian Gehrmann war gestern in der Frankfurter Rundschau der erste, der kommentierte. Neben guter Kritik am Produkt BBL bringt er die Kritik am Pokal in einer von vielen Fans ebenso geäußerten Kernthese auf den Punkt:

Der Pokal, egal in welcher Sportart, lebt seit jeher – und das Runde für Runde – von dem Prinzip Alles oder Nichts. Er zieht seine Faszination, seine Dramaturgie aus dem Kampf David gegen Goliath, aus Überraschungen, aus Sensationen und wenn es nur die theoretische Möglichkeit auf eine solche ist. Er steht eben nicht nur den Eliten offen und er befriedigt dadurch in besonderem Maße elementare Sehsüchte des Sports.

Das mag theoretisch so stimmen. Es mag der Verwertungslogik der Medien entsprechen, dass man gerne über die Geschichten der Underdogs schreibt. Doch ich werde gleich anhand der Zuschauerzahlen zeigen, dass jedenfalls dem Publikum diese ganz elementaren Sehsüchte des Sports offensichtlich fehlen. Die Praxis scheint diese These zu widerlegen.

Überraschend deutlich ist die Ablehnung des alten Pokalsystems durch einen kleinen Club, ratiopharm Ulm, der diese hart kritisierte Reform mit gefordert hat. Schon eine kleine Überraschung, da ja viele meinten, es sei eine Idee der Großen gewesen. Manager Oettel wird in der Suedwestpresse zitiert:

„Natürlich kann man über den richtigen Modus viel diskutieren“, sagt Oettel, „aber Fakt ist, dass der Wettbewerb in der bisherigen Form nicht mehr funktioniert hat.“ Der Reiz des Pokals basiere darauf, dass ein Kleiner ab und zu einen Großen aus dem Rennen wirft, „im Basketball passiert das aber so gut wie nie, da ist das Leistungsgefälle zwischen den BBL-Klubs und den Zweitligisten einfach zu groß“, sagt Oettel.

Lars Spannagel hat heute noch einmal im Tagesspiegel mit dem Kommentar „Geteiltes Leid ist doppeltes Leid“ nachgelegt. Hier ist es schon etwas weniger Totalablehnung, er kritisiert:

Sie haben den unattraktiven Pokalwettbewerb grundlegend reformiert – indem sie einfach zwei unattraktive Pokalwettbewerbe daraus gemacht haben.

Aber einen ganz wesentlichen Aspekt, nämlich die Chance des Underdogs beleuchtet er kritisch:

Zugegeben: Pokalsensationen sind im Basketball deutlich seltener als im Fußball, das liegt in der Natur des Spiels.

Natürlich lebt irgendwie die Hoffung der Fans weiter. Aber tut sie das wirklich und bei allen? Ich will mal den Zuschauerzahlen nachgehen und dabei gibt es überraschende Erkenntnisse:

Teil 2: Die Realität der letzten Jahre

Und noch einmal einen etwas längeren Nachtrag dazu, dass es für die ProA-Team so großartige Events waren:

Pokal 2008/2009  –   1. Runde

Durchschnittliche Zuschauerzahl 1. Runde: 748.
Insgesamt 7480 Zuschauer in 10 Spielen.

Niedrigste Besucherzahlen:

  • 350 bei Bremen Roosters vs. MEG Göttingen (Saisonschnitt Bremen ProA: 577)
  • 400 bei USC Freiburg vs. Giants Nördlingen (Saisonschnitt Freiburg ProB: 576)

Höchste Besucherzahlen (die einzigen vierstelligen):

  • 1500 bei MBC vs. Köln 99ers (Saisonschnitt des MBC in der ProA 2240)
  • 1200 beim „Derby“ EnBW Ludwigsburg vs. Tübingen (in der Hauptrunde: 2736)

Selbst wenn ein Schwabenderby im Pokal stattfindet ist die Zuschauerzahl ein Fiasko. Das Fazit kann nur lauten: Es interessiert die Zuschauer schlicht nicht.

Und auch beim ProA-Team, wo für die Fans das Spiel gegen ein BBL-Team ja angeblich so etwas besonderes ist, wo die spezielle Logik des Pokals, die „Sehsüchte des Sports“, wie Gehrmann sie nennt, greifen müssten, bleibt das Pokalspiel gegen ein BBL-Club hinter den Erwartungen zurück.

Pokal 2007/2008
– 1. Runde
Schnitt: 952
Insgesamt 9520 in 10 Spielen

Niedrigste Besucherzahlen:

  • 200 bei Schalke 04 vs. Eisbären Bremerhaven
  • 350 USC Heidelberg vs. Science City Jena

Höchste Besucherzahlen:

  • 2000 bei Leverkusen vs. Bonn (in der Hauptrunde: ausverkauft mit 3142)
  • 1625 bei TBB Trier vs. ratiopharm Ulm  (in der Hauptrunde: 3164)
  • 1300 bei MBC vs. Braunschweig (Saisonschnitt MBC 1860)
  • 1150 bei Cuxhaven vs. BG Göttingen (Saisonschnitt Cuxhaven ProA: (1201)

Wieder das gleiche Bild: Selbst ein BBL-Klassiker bringt die Leute nicht in die Halle, mindestens ein Drittel weniger Zuschauer. Die MBC-Fans freuen offenbar solche Spiele, aber lange nicht so, wie sie zu den ProA-Spielen in die Halle strömen. Dabei war das hier für Basketballverhältnisse gegen Braunschweig fast schon ein Derby. In 2:13 schafft man die Strecke mit dem InterCity.

Natürlich kommt jetzt Widerspruch. Das ist doch die doofe erste Runde!

O.k. ich lege nach und betrachte

Das Achtelfinale

Von 32 Achtelfinalpaarungen in den Jahren 2005/06 bis 2008/09 fanden ganze vier Paarungen unter Beteiligung eines unterklassigen Teams statt. Einige Schlaglichte:

Achtelfinale 2008/2009:

  • 700 Zuschauer bei Paderborn Baskets vs. TBB Trier, einem BBL-Duell eines zukünftigen PO-Teams.
  • 1793 Zuschauer bei Artland Dragons vs. Braunschweig. Die Dragons sind immerhin das Team, das noch kein einziges nicht ausverkauftes BBL-Spiel hatte.
  • 1300 Zuschauer beim Ausscheiden des MBC gegen Düsseldorf. Wieder bleibt der MBC unter seinem Saisonschnitt von 2240 Zuschauern.

Von den 19517 Zuschauern in 8 Paarungen waren 10273 bei genau zwei davon: Brose vs. Göttingen und Berlin vs. Ludwigsburg. Letztere Zahl glaube ich nicht, denn ich war in der Halle… Die übrigen Partien hatten einen Schnitt von knapp 1500 Zuschauern (Gesamtschnitt: 2439, Schnitt BBL-Hauptrunde: 3874, also beim Pokal 37 % weniger).

Achtelfinale 2007/2008:

  • Das Wunder der Cuxhaven Baskets begann: Erstmals angeblich ausverkauft: 1300 Zuschauer bei Cuxhaven schlägt Leverkusen. Der Saisonschnitt in der ProA waren 1201.

Trotz sieben reinen BBL-Paarungen, einem Heimspiel BS vs. Meister 07 Brose, dem Derby Oldenburg vs. Artland und 4260 Zuschauern von ALBA Berlin ein desolater Schnitt: 2126 sahen im Schnitt das Achtelfinale. Der Schnit in der BBL-Hauptrunde lag bei 3577 Zuschauern. Damit lag der Zuschauerschnitt im Pokal (ohne das ProA-Team) 38 % unter dem normalen Zuschauerschnitt.

Achtelfinale 2006/2007:

  • Zwei unterklassige Teams (Schalke und Chemnitz), die beide ausscheiden werden.
  • Schalke holt 400 in die Halle, das ist knapp unter dem Schnitt, den sie in der ProA hingelegt hatten (440).
  • Chemnitz hat  1385 Zuschauer gegen die Dragons. Ihr ProA-Schnitt lag in dem Jahr bei 1737 Zuschauern. Auch in Chemnitz kommen nur 2/3 der Fans zum Pokalspiel.

Bei den sechs BBL-Paarungen wiederholt sich das bekannte Bild. Der Hauptrundenschnitt wird in diesen Ausscheidungsspielen um 36 % unterschritten.

Viertelfinale, oder das „Wunder Cuxhaven“

Ja, es gab soweit ich das überblicken kann in den letzten fünf Jahren genau ein einziges unterklassiges Team, dass es bis ins Viertelfinale geschafft hat. Cuxhaven 2007/2008. 1450 Zuschauer bei der Niederlage gegen Bremerhaven.

Ab dem Viertelfinale – dort, wo nun auch der neue BBL-Pokal ansetzt, entsprechen die Zuschauerzahlen bei entsprechender Auslosung dann auch endlich dem in der Liga üblichen.

Datenmaterial: BBL-Zuschauerzahlen, BBL-Pokalspiele, ProA-Zuschauerzahlen

Teil 3: Die Mär eines Pokals für die Elite

Der neue Pokal schließt keine Überraschungen aus. Dies habe ich schon ähnlich auf schoenen-dunk.de geschrieben. Wer da mitgelesen hat, kann es also überspringen.

Schaut man sich die letzten drei Jahre an und überlegt, wer dort nach dem neuen Modell teilgenommen hätte und vergleicht dies mit der Vielfalt der bisherigen Viertelfinals, spricht das Ergebnis auch nicht für’s neue Modell.

Tabelle Stand 17. Spieltag Saison 2008/2009, 2007/2008 und 2006/2007. Fett markiert sind jene Teams, die in den entsprechenden Jahren im Top4 des bisherigen Pokals standen.

2008/09 2007/08 2006/07
1. Göttingen 1. Berlin 1. Ludwigsburg
2. Oldenburg 2. Quakenbrück 2. Berlin
3. Bonn 3. Bamberg 3. Köln
4. Frankfurt 4. Bonn 4. Bonn
5. Berlin 5. Leverkusen 5. Quakenbrück
6. Ulm 6. Oldenburg 6. Bremerhaven

Beim geplanten Modus wären es folglich 12 verschiedene Teams  in drei Jahren gewesen. Dazu wären dann nochmal drei verschiedene Ausrichter gekommen. 15 verschiedene Teams bei sieben Teilnehmern? Der Quotient ist 2,15 (Stochastiker mögen mir verzeihen, das ist bei mir einfach zu lange her, um es sauber zu formulieren).

Wären schon ein spannendes Teilnehmerfeld gewesen, aber beileibe nicht nur die Pfeffersäcke der Liga. Und Göttingen im Moment seines größten Erfolgs… Übrigens wären NUR Bonn und Berlin kontinuierliche Teilnehmer des Wettbewerbs in allen drei Jahren gewesen. Also lange nicht „immer die gleichen“.

Und der Vergleich: Zwischen 2006/07 und 2008/09 haben ebenfalls nur insgesamt 15 verschiedene Teams am Viertelfinale teilgenommen. Der Quotient bei acht Plätzen ist folglich niedriger, 1, 875.

Teil 4: Gebt der Copa del Pommer eine Chance

Hier möchte ich nur Christophe,  alias xtf als einen der wenigen wirklichen Kenner der europäischen Basketballszene zitieren:

Deutschland hat also jetzt auch seine Copa del Rey, seine Semaine des As. Wohingegen man sich aber hier nicht richtig dafür entscheiden konnte das gleiche (erfolgreiche) Konzept der beiden Länder nachzuahmen.

In Frankreich findet die Semaine des As jedes Jahr in einer anderen Halle statt, und der Ausrichter ist automatisch qualifiziert sowie die 7 ersten der Vorrunde. Daraus entsteht eine ganz neue Spannung da die Hinrunde klar aufgewertet wird und auch die Presse diese Meisterschaft in der Meisterschaft würdigt. Dies hàngt jetzt von den deutschen Medien ab wie das angenommen wird.

Natürlich kann man die BBL als mutlos kritisieren, dass sie sich kein Top8 trauen. Mir persönlich wäre es aber wohl auch zu lang. Und ganz sicher müsste die BBL an einer Stelle nachbessern. Den „Pokal“ drei Monate nach Ende der Hinrunde auszuspielen, das ist dann ein klares don’t.

5. Fazit

Der Pokal in der bisherigen Form hatte unterhalb des Viertelfinales immense Zuschauerprobleme. Die Zuschauerzahlen bei Begegnungen zwischen BBL-Teams lagen mehr als ein Drittel unter dem sonstigen Schnitt. Doch selbst unterklassige Teams hatten in ihrer Liga höhere Zuschauerzahlen als im Pokal.

Durch den neuen Modus kommen nicht weniger Teams in den Genuss des Wettbewerbs. Vielleicht wären es hier und da andere. Dafür ist es dann aber auch die Gruppe von Teams, die zum Ende der Rückrunde die beste Form haben.

Diese „Wintermeisterschaft“ zu vermarkten, ist eine Herausforderung aber auch eine große Chance. In jetzt kaputtzureden hilft nicht. Dass die BBL den Termin nicht verschoben hat, sondern zunächst am April festhält, das ist ein großes Manko.

13 Gedanken zu „Die Mär der „Faszination Pokal“

  1. Bei der Widerlegung der „Faszination Pokal“ unterschlägst Du zum Einen, dass die Kracher aus der BBL auf Grund europäischer Verpflichtungen erst später in den Pokal einsteigen und es somit in den letzten Jahren nie zu Begegnungen wie Chemnitz vs. ALBA o.ä. kam. DAS sind die „Sehnsüchte des Sports“, nicht Chemnitz vs. (nur als Beispiel) Nördlingen.
    Zum Anderen lässt Du unerwähnt, dass es sich bei den Pokalspielen immer um Termine in der Woche handelte. Das hat ja auch seine Wirkung auf die Spiele im EuroCup, die bei uns im Gegensatz zu den BBL-Spielen auch nur selten ausverkauft waren.

    • Ab dem Achtelfinale sind die „Kracher aus der BBL“ dabei. Ich hab bewusst die niedrigeren Hauptrundenzahlen gewählt und nicht die – ebenfalls unter der Woche stattfindenden – Playoffs. Es sind doch „do or die“-games. Die müssten doch einen besonderen Reiz haben, auch unter der Woche. Aber ich verstehe schon, dass es unter der Woche hier und da Abschläge gibt, nur ein Drittel weniger, teils nur dreistellige Zuschauerzahlen, das lässt sich wohl kaum mit dem Spieltag erklären.

    • Sehr gute Argumentation pro neuen Pokalmodus! Dein Standpunkt ist klar! Sportsfreund merkt aber richtig an, dass auch noch andere Faktoren die Zuschauerzahlen beeinflussen. Ich persönlich kann mich schwer entscheiden, welchen Modus ich jetzt besser finden soll. Aber, dass der Wettbewerb erst im April starten soll, ist schon krass! Da muss ich schon sehr an der Vermarktbarkeit zweifeln…!

  2. du stellst deinen standpunk sehr klar da, dafür erstmal meinen respekt.
    Ich will auch nicht alles am neuen pokal schlecht reden. Ich halte die „wildcard“ für eine tolle idee da man dann wenigstens an einem bbl standort ist und man auf jeden fall eine gewisse zahl an heimfans fest hat. Wenn man die halle auch nicht zu groß wählt kann dass echt ein hexenkessel werden. Von daher ist frankfurt als start nicht schlecht (über die qualität lässt sich streiten, da wäre bonn – trier et altera von den räumlichkeiten schöner gewesen.
    Auch wenn du aber den eigendliche mythos schön entkräftet hast, für mich hat es irgendwie dazu gehört das man wenigstens die chance hatte aus der unteren tabellenhälfte um einen titel mitspielen zu dürfen. Nur weil das selten vorkam ist es ja nicht schlimm das man nichtt die chance hat.
    Ich denke darüber ist sicher bei sd genug diskutiert worden. In diesem sinne hoffe ich einfach das trier ne super erste saisonhälfte spielt ;-)

  3. braucht nicht freigeschaltet zu werden

    Mach doch bitte aus den „Sehsüchten“ SehNsüchte, das klingt sonst ein wenig nach optischer Abhängigkeit ;)
    Ansonsten guter Artikel, wie üblich muss man dazu eigentlich sagen. Weiter so!

  4. @Gruebler: Klar, ab dem Achtelfinale sind die Kracher dabei. Aber wie viele Pro-A-Teilnehmer sind dann noch dabei? Die Begegnungen, die in den unteren Ligen wirklich die Hütte voll lassen würden, gab es in den letzten Jahren nicht.
    Und dass nur der Termin in der Woche für die geringen Zuschauerzahlen verantwortlich ist, denke ich auch nicht. Aber er ist ein wichtiger Faktor. Den solltest Du nicht unerwähnt lassen.

  5. Ich finde den neuen „Liga-Pokal“ total für die Füße!

    Die Mannschaften, die eh um die Play-Offs mitspielen bekommen einen Zusatzwettbewerb, die Teams, die zu keiner Zeit der Saison Aussicht auf einen der vorderen Plätze haben werden der Möglichkeit beraubt durch einen Pokalwettbewerb die Saison erfolgreich zu gestalten oder zu einem versöhnlichen Abschluss zu bringen.

    Auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, sie besteht (siehe Gießen 2005/2006, Top4 in Bamberg war ein tollter Saisonabschluss)!

    Imho ein weiterer Schritt vom wahren Sport zur Ware Sport.

  6. @sportsfreund: Ich kenn ja nur die Berliner Zahlen, aber da gab es zwischen Ligaspiel am Mittwoch und Pokalspiel am Mittwoch schon mal Diskrepanzen von 1000+ Zuschauern, auch in der MSH.

  7. Das wird doch aber zu einem nicht geringen Teil doch auch auf die DK-Inhaber zurückzuführen sein, die ihre Karte im Pokal nicht in Anspruch genommen haben. Oder galten die auch automatisch für den Pokal?

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