Unqualifiziert

Gestern zur Halbzeit war ALBA Berlin in der Euroleague. Doch in den folgenden siebzehn Minuten rissen sie mit dem Arsch ein, was sie zuvor in den letzten Wochen über fünfeinhalb Spiele aufgebaut hatten. Die Freude am Spiel, mit der ich in die Saison gestartet bin, blieb mir im Halse stecken. Ich ärgere mich.

Noch am Wochenende erzählte mir ein Bekannter von einem Vertreter der schreibenden Zunft, der sich als professioneller Ärgerer verstanden hatte. Ärgern als Triebfeder für das Schreiben. Ja, da ist was dran, die Wut muss raus. Manch ein Leser mag sich freuen, wenigstens das hat ALBA geschafft. Dennoch verordnete ich mir eine Nacht Abstand zum Spiel. Zu bitter, zu enttäuscht wären gestern die Kommentare geworden. Und jetzt zum Frühstück ärgere ich mich nicht nur über die enttäuschende Leistung der Albatrosse nach dem Seitenwechsel, sondern sehe auch, wie auf schoenen-dunk.de und Twitter die „ich hab’s doch gesagt“, „Luka ist doof“ und „ALBA kann’s sowieso nicht“-Fraktion aus ihren Löchern gekrochen kommt und den Holzhammer rausholt. Fortschritt vermag ich auch da nicht zu erkennen.

In einem Punkt muss ich der Kritik an Pavicevic allerdings beipflichten. Auch ich hatte den Eindruck einer Schockstarre, als nach der Pause nichts lief. Freute ich mich im ersten Viertel noch über ein mühseliges, aber immerhin variables Spiel, viele Einwechslungen und unterschiedliche Impulse, fiel Luka nach der Pause in ein klassisches Verhaltensmuster: Meine Stars müssen es doch packen, ich lass sie drauf. Die Abwärtsspirale drehte sich – bis kurz vor dem Ende. Das Highlight-Reel muss sich in der zweiten Halbzeit dann auch auf wenige Szenen, vornehmlich solche der letzten Minuten und einen seltenen Socke-Dunk beschränken:

ALBA tat sich gleich zu Beginn des Spiels schwer. Die belgischen Innenspieler Greene und Wright waren kaum in den Griff zu bekommen. Wright beschäftigte seinen Gegenspieler, Greene kam zu leichten Körben. Ein wenig Momentum bekam ALBA erst, als das Duo dank ihres je zweiten Fouls zerrissen wurde. Doch die gewonnenen Schwächen vermochte ALBA nur teilweise zu nutzen. Allen ist eine Bank. Er bringt Punkte, verteidigt solide und gibt ALBA eine neue Dimension. Auch Yassin Idbihi fand in dieser Phase ins Spiel, zwar tapsig, aber immerhin mit Einsatz.

Doch – was interessiert mich mein Geschreibsel über Wollmichsäue und ähnliches von vorgestern – Tadija Dragicevic hab ich gefressen. Das, was er gestern auf dem Feld nichtgeleistet hat, war eine Frechheit. In der Verteidigung grundsätzlich nicht im System, in der Offensive mutlos. Dabei tönte der Ex-Adrialeague-MVP und NBA-Draftee zuvor noch in den Medien, dass er mit ALBA einmal Euroleague spielen wolle. Gestern spielte Dragicevic so lustlos wie Bajramovic und so schlecht, als hätte er ein halbes Leben Basketballausbildung in jugoslawischen Kaderschmieden über Nacht verlernt. Dass er es – wenn auch als Heißsporn an der Grenze zum vorzeitig spielentscheidenden T – doch noch kann, zeigte er kurz vor Schluss, als es längst zu spät war. Die Aggressivität war da, die Fouls wurden gezogen.

Ich picke mir Dragicevic raus, weil da bei mir der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit am deutlichesten war.

Entsprechend gnadenlos ist die Nachlese beim Hofberichterstatter Berliner Morgenpost:

„Wir hätten heute keine Superhelden sein müssen, um den großen Schritt zu machen“, meinte Cheftrainer Luka Pavicevic. „Doch wir haben Charleroi die Chance gegeben, das Spiel im dritten Viertel an sich zu reißen.“ Vor allem in Abschnitt drei zeigte Alba eine indiskutable Leistung, es fehlte die notwendige Qualität.

Indiskutabel. Fehlende notwendige Qualität. In jeder Hinsicht zutreffend. Jenkins, der vor der Halbzeit 13 Punkte und danach null (in Zahlen: 0) machte, lief sich nen Wolf und blaue Flecken, sah aber keinen Stich. McElroy nahm frontal Notdreier und verweigerte irgendwann selbst sichere Würfe. Von Marinovic und Price kamen keine offensiven Impulse. Hatte ich nicht nach den Fanberichten der ersten Spiele auf Pointguards mit Scoringoption gehofft, gestern blitzte es auch nur in den letzten drei Minuten auf.

Warum nicht gleich so, sondern erst als man mit 11 Punkten (in der Summe also 15) im Rückstand war, mehr als 15 Punkte verspielt hatte? Vielleicht ist eben dies so bitter an dieser Niederlage. Man darf – wie auch letzte Saison – in der Quali scheitern, aber doch nicht mit halber Kraft. Aufwachen, wenn die frustrierte Hallenflucht längst einsetzt, das ist zu spät, auch wenn es dann fast noch reicht und man mit Stop-the-Clock noch einmal an der Verlängerung schnuppert.

Doch deswegen mag ich nicht in den Chor der Kopf-ab-Fraktion einstimmen. ALBA hat über fünfeinhalb Spiele und drei Minuten eine Quali gespielt, die die Erwartungen an die neu zusammengestellte Mannschaft wohl übertroffen hat. Gestern aber haben sie in rund siebzehn Minuten das Vorschussvertrauen verspielt, sind auf und neben dem Parkett rückfällig geworden. Berechtigte Pfiffe von den Tribünen waren die Folge, auch wenn der Fanblock diese noch einmal wegtrommeln konnte. Nur weil jeder Stein umgedreht wurde, ist das verspielte Vertrauen in die Spielfreude nicht wiederhergestellt. Der Weg bleibt – da hat Baldi im Interview recht – steinig. Die wieder aufgetauchte harsche Kritik in den Foren spricht eine deutliche Sprache. Schön wäre es, wenn die gleiche Leidenschaft im Guten wie im Schlechten ebenso laut auf den Tribünen gelebt werden würde. Denn der Schlafwagenbasketball passte perfekt in eine Halle gut gefüllt mit vorwiegend lethargischen Konsumenten, die nur mehr bei fragwürdigen Schirientscheidungen zeigt, dass es laut werden kann.

Nun spielen wir eben Eurocup. Wir sind da, wo wir hingehören, denn auch in den guten Minuten sah ich keine Mannschaft auf Euroleague-Niveau. Doch ein Selbstläufer wird auch der zweitklassige Eurocup keinesfalls. Geholfen hat die Niederlage gestern aber den Bambergern. Charleroi war clever, gut eingestellt, aber das war keine rocket science. Als Gruppengegner unserer Fränkischen Lieblingsfreunde sind sie sicher allemal dankbarer als Khimki, der andere Qualifikant.

Wir haben jetzt einen Monat Pause von Europa. Bonn, Ludwigsburg, Bayreuth heißen die nächsten Aufgaben. Wichtig ist in der Liga? Blöße zeigen, das sollte man hier jedenfalls nicht, denn es sind die drei, die jünst vom MTV von den 46ers geschlagen wurden. Die größte Aufgabe dabei ist wohl, das in siebzehn Minuten verspielte Vertrauen vieler Fans in die Freude am Spiel zurückzugewinnen.

8 Gedanken zu „Unqualifiziert

  1. ALBA hechelt Gießen gleich doppelt hinterher. Sehr schön. We´ll enjoy it while it lasts :-)

    Was mich interessieren würde, gruebler, wo siehst du die Knackpunkte und Ursachen? Was wären für dich denkbare Konequenzen und Maßnahmen?

    Ein Fanaustauschprojekt könnte dein anderes – das Konsumverhaltensproblem – lösen. Schickt mal 40-50 von den Lethargos (ohne Klatschpappen!) hier runter, die bringen uns bei, wie man sich als Fan eines BBL-Seriensiegers verhalten soll/muß/kann – dafür erklären wir, wie man als Fangemeinschaft den Gegner aus der Halle bläst, auch wenns auf dem Feld zwischenzeitlich mal schlecht läuft und man eigentlich der underdog ist und keine Chance hat ;-)

    • DISCLAIMER: Der Blogeintrag selbst hat diesen Kommentar verschuldet. Das Thema wurde schließlich mit „Unqualifiziert“ vorgegeben. Das kann ich besonders gut.

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      „Denn der Schlafwagenbasketball passte perfekt in eine Halle gut gefüllt mit vorwiegend lethargischen Konsumenten, die nur mehr bei fragwürdigen Schirientscheidungen zeigt, dass es laut werden kann.“

      Berlin und Ludwigsburg, Brüder im Geiste. Bis auf das „Halle gut gefüllt“ jedenfalls. ;)

      Schöne Idee mit dem Fanaustauschprogramm. Ich erdreiste mich, schonmal 30 zufällig beim nächsten Heimspiel rausgegriffene Lubus anzumelden. Wir bringen auch Tröten mit. ;)

      *hust*
      .oO(Nicht, dass ich nicht selber zu den ruhigen Vertretern der Fanzunft gehörte)

    • Sehr nice der Disclaimer. I like. :-)

      Man kann sagen, was man will, die Gießenfans verdienen Bewunderung. Nach 5 solchen Jahren war die Halle immer noch gut gefüllt. Manchmal sogar sehr gut. Und ich gehe mal so weit, zu sagen, dass es ohne diesen bedingungslosen Rückhalt den Club nicht mehr gäbe. Eine sehr heterogene Angelegenheit die mittelhessische Fanmasse, aber vielleicht deswegen so schön: das Kindergartenkind trifft seine Expraktikantin wieder, der 90jährige Opa läßt sich im Rollstuhl vom Seniorenheim den Altenfeldsweg hochschieben und der kleine Elvir junior (geschätzte 3) zockt auf die Körbe während Daddy duscht und badet im Fanjubel (einschließlich Mackerpose). Ab und an schaut auch der hessische Ministerpräsident zu Fuß vorbei.
      Ne kompetente Unterrichtsstunde Herzblut kann in Gießen also jeder bekommen.

      PS: Tröten bleiben selbstverständlich zu Hause – genau wie die Klatschpappen!

  2. So gehässig das klingen mag: Für mich war das Ergebnis echt fast das beste was ich erhofft habe. Zugegeben nicht, als mein Sohn völlig frustriert neben mir saß und es doch gut zusammenfasste: „Alba wird heute nicht gewinnen, die sind nur schlecht“. 34. Minute oder so.
    Alles in Allem geht es mir wie Dir: Ich habe kein Team gesehen, dass auf EL Niveau gespielt hat. Ich habe die Vermutung, dass wir in der EL wenig Spaß gehabt hätten und sehe daher einer EC Saison durchaus positiv entgegen. Die beginnt in eineinhalb Monaten. Bis dahin wird sich das Team noch (besser) finden. Und dann möchte ich nicht mehr, als dass die erste Runde ordentlich gespielt wird, die Zwischenrunde erreicht (und dann schaun mer mal …)

  3. Tolle Zusammenfassung, sah ich gestern in der Halle genauso. Wobei mich am meisten die 10sek Alibieinwechslung von Luka Staiger geärgert hat. Das war einfach eine pädagogische Maßnahme mit der Zahl 6. Jeder anderer Spieler wäre stocksauer gewesen. Aber der arme Luka Staiger soll das akzeptieren. So was nennt man vertrauensbildende Maßnahmen bei seinen Jünglingen. Ich nenne es ein Arschtritt gegenüber der Würde eines Spielers

    • Ich seh das anders. Der kam rauf, stolperte offensiv rum, kassierte defensiv den 3er. Schaute ungläubig träumend dem Ball nach (vgl. Video oben)… Luccas Chance ist es, seine Stärken auszuspielen, eine echte Shooter-Option zu sein. Er muss ja nicht sofort treffen, nur seine Würfe nehmen soll er, somit nen Impact haben… dazu muss er allerdings arbeiten. Wenn das nicht den Anforderungen des Coaches entsprechend klappt, geht’s eben runter. So ist das Leben als Extra von der Bank, wer das nicht will und sich stattdessen mit viel Freiheit und sicher ohne Playoffs ausprobieren, muss nach Ulm gehen…

      Was wollen wir denn? Welpenschutz oder Erfolg? Lucca hat ne (abgebrochene) Collegeausbildung, Spielzeit zum Ausprobieren für nen xbeliebigen anderen Collegeabsolventen fordert doch auch keiner, oder?

  4. Denke auch, dass das Spiel passend zusammengefasst wurde. Was mich vor allem erschreckt hat, war zum einen das teilweise völlig leichtfertige Verschenken von Punkten indem man Gegenspieler vollkommen frei am Korb lässt. Dass das nicht noch härter bestraft wurde, lag wohl daran, dass der Point Guard Cahrlerois keine Lob-Pässe kan. Kam mir von meinem Platz gestern jedenfalls so vor. Zum anderen war das teilweise auch katastrophales Rebounding – am eigenen Korb wie offensiv, wo man zwei, drei einfach Offensivrebounds verschenkt hat. Was dann wohl unter dem hier schon angesprochenen fehlenden Einsatz zu summerieren ist.

    Sonst hätte ich gerne mehr von Yassin Ibdihi gesehen – bestimmt nicht der talentierteste Spieler, aber dafür hat er als einer der wenigen wirklichen Einsatz gezeigt. Bin mal gespannt, was er sonst in der kommenden Saison bringt. Und insgesamt ist es wirklich richtig, dass Euroleague für das Team doch noch etwas zu hoch gegriffen ist. Zwischen dem, was ich gestern gesehen habe und dem Team, das vor zwei Jahren Real Madrid am Rand einer Niederlage hatte, liegen Welten.

  5. Na gut! Wenn sich der Herr Grübler zu fein ist, den Kalauer-Dialog der ansonsten recht schweigsamen Heimfahrt nach dem Debakel hier aufzuwärmen, mache ich das eben. Einer muss die Drecksarbeit ja erledigen (ihr könnt euch an dieser Stelle gern ein clinteastwoodhaftes Mundwinkelzucken in den Text denken). Irgendwo am Senefelderplatz leuchtete sich die Leuchtreklame „Schmerzzentrum Berlin“ in unser Blickfeld. Mitfahrer F.: „Mmmmh, guter Name für ein Domina-Studio.“ Mitfahrer W.: „Oder für die Spielstätte von Alba Berlin.“
    Ja, jaaaa, JAAAAA! Es tat weh. Und auch zwei Tage später ist der Schmerz noch nicht abgeklungen. Trotz aller durchaus vernünftigen Einwände im Vorfeld. Ist Alba nicht – nüchtern betrachtet – im Eurocup besser aufgehoben? Ist es nicht schöner, ein paar europäische Siege zu sehen, als in der EL ständig vor den Latz zu kriegen? Ja und abermals ja. Und trotzdem will man so ein Spiel nun einmal nicht verlieren, nicht nach fünf anderen harten Spielen und vor allem nicht so. Ohne Plan, ohne Herz, ohne echte Gegenwehr (von den letzten zwei Minuten mal abgesehen). Ich für meinen Teil habe im Gegensatz zum Kollegen Grübler – der sich offenbar in einer Parallel-Mehrzweckhalle befand – schon in der ersten Halbzeit kein gutes Spiel gesehen. Dass wir zur Pause mathematisch in der EL waren, lag nur daran, dass sich die Frittenfreunde aus Belgien in der Offensive noch dösiger angestellt haben als Alba.
    Was bleibt aber nun, wenn die Enttäuschung nachlässt, die Wunden geleckt sind, nach sechs Spielen Quali?
    Meine persönliche Starting Five der Erkenntnisse:
    1. Alba 2010 kann richtig gut Basketball spielen. Variabel, schnell, passsicher, zielorientiert, in den Glanzmomenten sogar großartig (3. Viertel Heimspiel Runde 2).
    2. Alba 2010 hat aber leider einen Hang zu kollektiver Amnesie. Ob zuletzt nur Einzelne (Dragicevic, IMac, Marinovic etc.) oder das komplette Team (4. Viertel Heimspiel Runde 2) – irgendwie scheinen sich alle unter 1 genannten Fähigkeiten immer mal wieder wie durch Zauberei zu verflüchtigen. Dummerweise passiert das offenbar nicht mehr – wie seit Jahren üblich – im berüchtigten Alba-Horrorviertel Nummer drei, sondern im Schlussabschnitt, wo nachträgliches Ausbügeln naturgemäß schwer fällt.
    3. Alba 2010 hat entgegen aller Erwartungen auf den großen Positionen eine zu kurze Bank. Schon der Ausfall von Sven Schultze ist offenbar kaum zu verkraften, wie gesehen in Serbien, als die Großen reihenweise rausgefoult wurden. Wenn dann noch Herr Dragicevic wie gegen Charlerois – trotz faktischer Anwesenheit auf dem Spielfeld – ausfällt, wird es bitter.
    4. Lucca Staiger wird nichts, aber auch nullkommanullgarnichts zu lachen haben. Sorry Grübler, aber zwischen Welpenschutz und der Aktion von Sonntag liegen Welten.
    5. Alba ist nicht der Top-Favorit für die BBL. Der heißt, so schwer es fällt, Bamberg. Und das ist vielleicht auch gut so.

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