Auf zur Saison als Herausforderer

Endlich will ich rufen, endlich ist die viel zu lange Offseason vorbei. Nach der letzten Saison der Albatrosse, an der ich wenig Freude hatte, geht es unter gewandelten Vorzeichen wieder los. Zum Frühstück hörte ich, wie Marco Baldi dem Liga-Medienmann Sven erklärt, warum die neue Rolle ALBA Berlins gut ist, warum das Saisonziel Halbfinale angemessen ist.

Mit zunehmend weniger Zeit zum Bloggen verändert sich die Wahrnehmung der Liga. Ich schaue kaum noch auf die kleineren Teams, was man mir getrost als Arroganz vorhalten mag. Doch die Veränderungen in der Spitze sind schon spannend genug. Bayern, Bamberg, Ulm, Artland, Oldenburg und natürlich Berlin waren in dieser Offseason die Clubs, bei denen man schön sehen konnte, wie rasant sich die Beko BBL verändert hat. Alle kann man getrost als Aspiranten für einen Halbfinalplatz oder mehr ansehen.

Natürlich wäre es naiv, zu glauben, dass keine weiteren Teams hier für Überraschungen sorgen können. Würzburg hat nicht nur einen großen Teil der Göttinger Eurochallengesieger von 2010 wiedervereint, sondern sich auch mit dem Frankfurter Franchiseplayer McKinney verstärkt. Nur glaube ich nicht, dass die Patrick-Mannschaft ohne Patrick funktionieren wird.

Bayern ist auf dem Papier nach den Verpflichtungen von Halperin, Roberts, Rice und Thomas sicherlich einer der beiden Favoriten auf den Titel. Der Herrschaftsanspruch von Uli Hoeneß und Bernd Rauch wurde jüngst bei der Demission von Bauermann deutlich. Die mutmaßlich teuerste Mannschaft der Ligageschichte muss nun Erfolge bringen und darf dem Image des FC Bayern München keine weiteren Kratzer auf und neben dem Feld verpassen.

Bamberg bleibt trotz des Endes der Ära Suput und Pleiss dennoch in der Favoritenrolle. Nach den Testspielen überschlagen sich die Lobpreisungen der Fans hinsichtlich der Qualitäten eines Boki Nachbar, dem möglicherweise besten Spieler seid Eidson in der Liga. Mit Ford, Wenn, ja wenn da nicht bereits ein typisch Bamberger Problem wäre. Der australische Center AJ Ogilvy ist bereits verletzt. Und bei aller unbestrittener Qualität des deutschen Nachwuchses in Person von Zirbes und Neumann reißt dies ein Loch und bedarf es möglicherweise einer Nachverpflichtung. Doch irgendwie erinnert mich dies an Tibors erste Saison in Bamberg. Durfte und musste dieser nicht auch Verantwortung übernehmen, weil der etatmäßige Center ausfiel? Das Ergebnis ist bekannt.

Kurz will ich noch auf Ulm und Oldenburg eingehen. Ulm hat in der schweren Qualifikation zur Euroleague verloren, wobei sich jedoch gezeigt hat, dass sie mit Bryant, Günther und Ray ein Trio haben, das auch in der Liga für Schlagzeilen sorgen könnte. Ulm ist in seinem Kader diese Saison für ein Spitzenteam der Liga atypisch: Es ist (neben Würzburg) das einzige Topteam, das auf seinen Ausländerplätzen ausschließlich auf US-Amerikaner setzt. Und auch wenn man sich die sportliche Herkunft der Spieler anschaut, fehlen hier die ganz großen Namen. Mit über 4000 verkauften Dauerkarten hat Ulm seine Euphorie in nachhaltigen Support umgesetzt und sich mit Günther und Schwethelm gleich zwei A-Nationalspieler gesichert. Ulm fehlt sicherlich der Glanz der ganz großen Namen. Sie zu unterschätzen, das jedoch wäre fahrlässig. Vom Lautsprecher der Schulturnhallen mit Minicenter Gibbs hat sich Ulm mit neuer Halle, Leibenath und dem MVP in die Ligaspitze katapultiert. Chapeau TS und Co.

Über die Oldenburger, die ein who is who der Liga eingekauft haben, schrieb ich bereits. Oldenburg steht vor einer spannenden Saison. Machowski muss zeigen, dass er aus dem unbestritten vorhandenen Potential sportliche Resultate ziehen kann und der wohl zu den Playoffs anstehende Umzug in die Neue Weser-Ems-Halle von einer ähnlichen Welle der Begeisterung getragen wird, wie dies in Ulm der Fall war. Nur einen Unterschied gibt es: Oldenburg spielt bereits vor dem Umzug wirtschaftlich in der Spitzenklasse. Schaut man sich die Entwicklung der Infrastruktur der Topteams an, zeigen die legendären Bamberger Wackelkörbe der letzten Playoffs, dass beim Serienmeister zu Recht in den Foren immer wieder eine Hallen- und Umzug-nach-Nürnberg-Debatte ausbricht.

Maßstab für die Infrastruktur, das ist und bleibt jedoch ALBA Berlin, auch wenn deren 14.500 Plätze erst einmal gefüllt werden wollen. Endlich gibt es auch einen Trikotsponsor, auch wenn den kaum einer so richtig kennt. Doch der Staffelstab des Ligakrösus, den mussten die Berliner wohl nicht erst vor dieser Saison in den Süden weiterreichen. Wirtschaftlich wie sportlich, in der vierten Saison seit dem letzten Titel (Pokal 2009), sind die blau-gelben Hauptstädter von der Rolle des Gejagten in die des Jägers gewechselt. Großschnäuzige Claims – „Es ist Zeit“, „Das beste zum Schluss“ „Ganz großer Sport“ – gehören der Vergangenheit an. „Mit Leib und Seele“ will ALBA nun angreifen. Der neue Trainer Obradovic und legendäre Spielmacher der frühen Jahre der Serienmeisterschaft soll dies verkörpern. Leib und Seele, das war das, was mir in den letzten Jahren fehlte. Seelenloser Basketball, das führte zum Ende des von mir so geschätzten Luka Pavicevic. Das Katzurin-Intermezzo war erst lange pfui und am Ende ein letztes – freilich begeisterndes – Playoffgefecht einer Mannschaft am Ende ihres Zyklus. Fehlender Leibeinsatz, fehlende Härte, zeichnete die letzte Saison unter Herbert aus. Als Sportpsychologe Herbert vor den Playoffs die Psyche seiner Mannschaft beschreiben musste und sie als eher zu sensibel beschrieb, kam ich aus dem Kopfschütteln nicht hinaus. Ein ganzes Jahr hatte er Zeit, hochbezahlte Profis auf Playoffmodus zu trimmen. Wie sehr ihm dies mislang, wurde daran deutlich, dass man gegen die mit viel Leib spielenden Würzburger verlor. Dass deren Motivation – wie sich anlässlich der folgenden Entlassung Patricks zeigte – wohlmöglich das Ergebnis fragwürdiger Motivationsmethoden gewesen ist (anders: Göttinger Tageblatt), ändert nichts daran, dass die Verpflichtung Herberts letztlich ein Fehlschlag war.

Genug der Vergangenheitsbewältigung. Nun heißt es in Berlin zurück auf Los. Die Stimmung ist in etwa wie 2007/08. Ein Cut ist gemacht, man ist sportlich nur eines von vielen ambitionierten Teams. Die bekannten Eckpfeiler der Mannschaft heißen Heiko, Yassin und Sven. Der ehemalige Heilsbringer Wood muss in eine neue Rolle. Der Rest ist neu und glaubt – traut man den Porträts von Radio Eins – durch die Bank weg an eine gute Teamchemie und die eigene Siegermentalität.  Das, was wir in der Vorbereitung insbesondere gegen den FC Bayern München sehen konnten, das hat viel Vorfreude auf die Saison gemacht. Intensive Defense, variables Spiel, Spieler, die den Bällen hinterherhechten. Klar, einiges klappte nach nicht: Die Verteidigung des Perimeters war noch immer problematisch, offensiv liefen viele Systeme nicht rund und gelang es oft nicht, den freien Mann zu finden. Woods Pässe ins Nichts mögen hier als Symbol gelten. Ein roter Faden der Vorbereitung wurden dann aber – auch in den letzten Testspielen in Italien – viele Assists der Pointguards, das in den letzten Jahren so vermisste Rebounding. Wenn da nur die schlechte 3er-Quote nicht wäre…

In zweieinhalb Stunden heißt es ALBA gegen Artland. Einen schöneren Saisonauftakt kann man sich vor diesem Hintergrund kaum vorstellen. Schließlich verbindet beide Clubs spätestens seit dem Top4-Sieg der Drachen eine der raren Fanfreundschaften der Liga. Böse Worte finden sich hier nicht, allerhöchstens leichte Piesackereien aufgrund des doch unterschiedlichen Backgrounds von Dorf und Großstadt.

Neu ist wohl, dass erstmals um die gleichen Spieler (Kerusch)  gepitched wurde und Wechsel aus dem Artland nach Berlin (Peavy) und von Berlin ins Artland (Taylor) stattgefunden haben. Die Zahl der Trikots mit der 44 in der o2 world dürfte noch immer erheblich sein, Applaus bei der gegnerischen Mannschaftsvorstellung ist zu erwarten.

Dennoch ist es kein Freundschaftsspiel. Die Artland Dragons haben sich unter Stefan Koch und mit einem unauffälligen, doch ausgesprochen Potenten Mäzen im Hintergrund zu einem echten Contenter für die Spitzengruppe der Liga gemausert.  Der letztjährige Tabellendritte hat sich in der Offseason ohne spektakuläre Pressemeldungen mehr als nur solide verstärkt. Kerusch kam von Aris, Valters aus Malaga, Popovic vom Roten Stern und Haynes aus Gran Canaria. Wenn man sich in der Teamübersicht der Liga die Ex-Vereine anschaut, liest es sich – abseits der deutschen Quotenspieler – wie ein Familienalbum des europäischen Basketballzirkus abseits der ganz großen Namen. Es ist ein mehr als solides Eurocup-Team.

Beide Clubs zeigen in ihren neuen Mannschaften etwas, das in dieser Offseason in der Beko-BBL auffällig ist. Es sind nicht mehr nur vorwiegend europäisch erfahrene Amerikaner, die verpflichtet werden, sondern auch Spieler europäischer Herkunft. Klar, wir hatten diese immer mal wieder in der Liga, doch zusehends seltener in den Spitzenclubs. Berlin beschränkt sich – fast wie zur Zeit der Bosman-Regel – mit Thompson, Morley und Wood auf drei US-Amerikaner. Im Artland sind es mit Drevo, Taylor,  Haynes und King derer vier. In einer seiner letzten Kolumnen schrieb Joe Herber ob des Abschieds von Peja Suput, dass er die ex-jugoslawische Basketballschule, die Intelligenz des europäischen Basketballs vermisse. Diese scheint in dieser Saison jedenfalls mancherorts doch wieder mit Vehemenz zurückzukehren.

Wohl noch nie hatten wir in der Beko BBL so viele europäische Nationalspieler, so viele Jahre Erfahrung in europäischen Vereinswettbewerben versammelt. Bis auf Tim Ohlbrecht und Dirk Nowitzki spielt die deutsche Nationalmannschaft in der Beko BBL. Es weht ein ganz leichter erster Lufthauch der Präsenz (europäischer) Nationalspieler, aus der die Handballer ihr Image als stärkste Liga der Welt begründen, durch die immer größeren und volleren Hallen der Beko BBL. Ich freue mich auf einen starken Wettbewerb, darauf, Halperin, Nachbar und Co. live zu sehen. Darüber, dass Bryant und Peavy in der Liga bleibt und Rice und Mallet – wenn auch noch verletzt – zurückgekehrt sind. Auch wenn wir Berliner wohl erst lernen müssen, die „neue“ Rolle als Herausforderer anzunehmen, ist es gut, dass die Liga eine so faszinierende, vielfältige und ambitionierte Spitzengruppe entwickelt hat.

Als Obradovic das erste Mal nach Berlin kam, hieß es noch ALBA oder Leverkusen. Bauermann oder Pesic. Leverkusen ist Geschichte, Bauermann ganz plötzlich auch erst einmal weg.  Die Vorzeichen haben sich geändert. Die Ära der Dominanz ist abgeschlossen und Geschichte, symbolisch passt hierzu, dass Alexis‘ Trikot nun unwiderbringlich unter der Decke hängt. ALBA ist heute wieder in der Rolle des – nun nicht mehr einzigen – Herausforderers, Obradovic ist zurück und unsere Mannschaft hat offenbar Lust auf die Herausforderung. Beginnen wir heute mit der Drachenjagd. Die Lederhosen und Bauern kommen früh genug…

6 Gedanken zu „Auf zur Saison als Herausforderer

  1. Schön mal wieder von Dir zu hören … Ich wünsche viel Spaß bei Saison-Start heute gegen Artland. Hör‘ Dich doch bei der Gelegenheit mal um, obes noch eine Nachverpflichtung geben wird. Die Verletzung von Peavy ist ja leider eine herbe Schwächung.

  2. Pingback: Von Bauermann’schem Realitätsverlust und einem guten bösen Hexenmeister | gruebelei.de

  3. Beginnen wir heute mit der Drachenjagd. Die Lederhosen und Bauern kommen früh genug…Welch schöne Formulierung!! Als auswärtsgeprägter Fan freue ich mich schon auf die nächsten Stationen hier im Süden. Endlich wieder Basketball mit Leidenschaft. Und das all den deprimierenden Ergebnissen in den letzten Jahren in fremden Hallen. Man wie liegt mir mein letzter Besuch in Würzburg noch quer im Magen. Ich will ihn endlich mit einem Schwall von Begeisterung ausrotzen und ein leidenschaftliches Team auf dem Platz sehen. Fiebere schon der nächsten TV-Übertragung (und damit ist nicht die Showveranstaltung gemeint) entgegen, damit ich Eure Vororteindrücke auch sehen und erleben kann. Auf eine emotionale Saison und hoffentlich mit einem Ende wie gegen Bonn.

    Ich hoffe, Du wirst Dich in einer Woche auch noch dem europäischen Engagement unserer Albatrosse widmend. Denn im Allgemeinen ist das ein Wettbewerb, der mich gerade bis zu den Play-Offs fast noch mehr fasziniert als die BBL.

  4. „Berlin beschränkt sich – fast wie zur Zeit der Bosman-Regel – mit Thompson, Morley und Wood auf drei US-Amerikaner. Im Artland sind es mit Drevo, Taylor, Haynes und King derer vier.“

    Hierzu eine Anmerkung: Auch wenn die BBL die Begrenzung der Anzahl ausländischer Spieler komplett aufgehoben hat, so ist dies nur eine indirekte Folge des Bosman-Urteils. Laut der Entscheidung des EuGH darf die Zahl von Spielern mit EU-Pass im EU-Inland natürlich nicht begrenzt werden. Die Zahl von Spielern aus dem Ausland der EU, also ohne EU-Pass dürfte man schon beschränken, z.B. US-Amerikaner oder Serben.

  5. „Bis auf Tim Ohlbrecht und Dirk Nowitzki spielt die deutsche Nationalmannschaft in der Beko BBL.“
    Spielt nicht auch ein gewisser Tibor Pleiß bei Caja Laboral in Spanien? ;)

    • Hmm ja, aber der spielt ja auch nicht ;-). Da wünschen wir übrigens gute Besserung.

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