Drachentöter und Herzblut

Ach, das Leben ist schon ungerecht.*

Während gewisse Bloggerbosse sich erst gar nicht mit dem schnöden und novembergrauen Ligaalltag aufhalten und mich am Dienstag mit der fröhlichen Behauptung „Endlich geht es los!“ erschrecken, bleibt mir als Bettelbloggerin mit dem Dreifachhandikap Praktikantenstatus, Fanherkunft und Genderzugehörigkeit gar nichts anderes übrig, als genau dies zu tun. Da fühlt man sich schon ein wenig diskriminiert, aber so ist das nun einmal. Einer muß ja die Drecksarbeit machen.

Europa gibt es in Gießen leider nur im Reisebüro oder auf vergilbten Schwarzweißfotos vor der Glasbausteinkulisse der Doppelturnhalle. Auch die schweißtreibende, erneut albtraumbehaftete Überlebenskampfsaison in der BBL hat für die LTi Gießen 46ers schon längst wieder angefangen, während die Berliner ihre Euroeier ausbrüten und sich den Luxus leisten, die Kühlschrankliga – zumindest fanseitig – nur zum Warmspielen zu benutzen.

Legehennen finden sich in Batterien wieder und ihrer fleißigen Produktion wird höchstens mal an Ostern gebührend Respekt gezollt. Ausdauernden männlichen Albatrosexemplaren eines Berliner Basketballklubs werden hingegen ungeniert (und mitten im Jahr) Oden an das, was sich darauf reimt, gewidmet. Und da zeigt vergangenen Samstag endlich auch mal in Gießen ein Spieler wieder ganz, ganz dicke ebensolche, schon wird einem von allen Seiten wohlmeinend abgeraten, dieses (N)ovum als Bloggerin mit so direkten Worten zu beschreiben. Gut, dann eben ein kurzer Artland-Spielbericht weitestgehend ohne Geflügelprodukte:

Schon letztes Jahr war das Heimspiel gegen die Artland Dragons für die Gießener Fans etwas ganz besonderes, dieses Jahr traf das gleich dreifach zu. Nicht nur der aktuelle Tabellenführer kam letzten Samstag auf Besuch, er brachte auch noch den Ex-Headcoach und langjährigen Cotrainer Thorsten Leibenath sowie erstmals den altgedienten Ur-46er Flo Hartenstein nebst ganzer Familie zurück in die Stadt. Viele Fans und Freunde freuten sich wie an Weihnachten, kamen extra früh in die Halle und bedachten schon mehr als eine Stunde vor Spielbeginn den ehemaligen Mannschaftskapitän beim Aufwärmen mit den typischen, markanten Har-ten-stein, Har-ten-stein-Rufen. Bei der Teamvorstellung gab es standing ovations, donnernde Sprechchöre und ein wirklich schönes Geschenk für Flooo wurde von den 46ers auf dem Hallenparkett überreicht.

Völlig unsentimental nahmen anschließend die „Enten“ die Gießener gehörig auseinander. Konzentriert, effizient und ruhig wurden die Schwächen in der Pick-and-Roll-Defense der Hausherren ausgenutzt. Gießen kam überhaupt nicht in Gang und schnell stand es 14:28 Anfang des 2. Viertels. Doch dann wurden endlich alte Gießener Tugenden wieder ausgepackt. Jeffers gelang ein schwieriger Wurf, Teague ein Dreier, Rekonvaleszent Williams der Steal und plötzlich platzte der gordische Knoten. Die Halle war in voller Wattstärke da und stand kurz vor der Halbzeit völlig Kopf, als zunächst Purdueabsolvent und Hoosier Dave Teague den Ball stibitze, mit Foul vollendete und den fälligen Bonusfreiwurf zum 31:32 versenkte und dann auch noch der nachverpflichtete Maurice Jeffers einen seiner unnachahmlich flachen Dreier zum 34:34 Ausgleich einnetzte. Diesen euphorischen Schwung nahmen die 46ers ungebremst mit in die 2. Halbzeit –

Held des Abends: David Teague
Held des Abends: David Teague
(Foto: Mediashots, Linden)

und an dieser Stelle muß ich allen widersprechen, die mit dem üblichen Standardsatz die Niederlage des Tabellenführers beim Tabellenvorletzten analysieren wollen. Meiner Meinung nach hat Quakenbrück Gießen nicht unterschätzt. Im Gegenteil. Stoisch und diszipliniert exekutierte man den Gameplan von TL und genau das war das Problem der Artländer Drachen. Eine einzige Szene des Spiels reicht eigentlich, zu erklären, was an dem Abend in der Osthalle passierte.

Noch 5 Minuten. Gießen führt mit 11. Geradezu lässig problemlos verkürzt Artland auf 7, Toby Bailey läßt seine Extraklasse aufblitzen und eine Auszeit muß 3 ½ Minuten vor Ende her, den mittelhessischen Hühnerhaufen schnell zu beruhigen. Nach dem Timeout macht der Held des Abends David Teague alles falsch und gewinnt damit das Spiel für seine Farben. Der Einwurf kommt zur Nr. 23 und mit noch genausovielen Sekunden auf der Shotclock und den Zehenspitzen auf der Linie nimmt der einen fast unmöglichen Beinahedreier mit Gegenspieler im Gesicht. Die Halle verstummt vor Entsetzen während der Spalding Eiskristalle ansetzt, ob der hohen Flugkurve. Swissshhh. Der Rest ist unbändiger Jubel. Wer trifft hat eben immer noch Recht und es war genau dieses unorthodoxe Gießener Spiel, was Artland schlußendlich kippte. Besonders die sehr strukturiert spielenden Mannschaften (z.B. auch die Albatrosse) zeigen sich oftmals verblüfft und zeitweise ratlos gegen die nicht immer lehrbuchhaft agierenden Lahnstädter.

Urschrei (Foto: Mediashots, Linden)
Urschrei
(Foto: Mediashots, Linden)

Gegen den enormen Willen, die Emotionen und die Leidenschaft war einfach kein Drachenkraut gewachsen. Spieler und Publikum pushten sich gegenseitig in einen wahren Rausch. Widerstand an dem Abend zwecklos. Die lange, ausgelassene Hallenfete bis nach 1 Uhr hatten sich Mannschaft und geschundene Gießener Fanseele redlich verdient. Aus dem aufopferungsvoll und geschlossen kämpfenden Team ragten Williams (15/3), Jeffers (17/9), Johnson (15/11) und Teague (28/5 heraus).

Scouting gibt’s hier.

Und gibt es eigentlich eine wissenschaftliche Bezeichnung für das Phänomen, dass, wenn man etwas ganz bewußt sieht (hört, liest), es einem von da ab ständig wieder über den Weg läuft? Zu viel Federvieh, zu viele Eier – plötzlich und überall.
Während wir nämlich den Thanksgivingtruthahn geniessen, spielt in der Euroleague ausgerechnet Entente Orleans und die – zumindest für mich ornithologisch nicht zuordnenbaren – Gelbflügler aus Oldenburg bekommen tags zuvor nach toller erster Halbzeit in Athen radikal die Flügel gestutzt. Trotzdem ist noch alles drin für die Donnervögel in der Gruppe D der Euroleague. Die ersten 3 (Madrid, Panathinaikos, Khimki) sind gesetzt. Der vierte Platz zum Erreichen der prestigeträchtigen Sweet 16 wird nun zwischen den punktgleichen Oldenburg, Gdynia und Milano ausgespielt. Die Chancen sind nicht schlecht für den deutschen Vertreter. Mal schauen ob der Deutsche Meister vorher in Gießen auch Federn lassen muß.

Ei des Kolumbus: Anton „Tono“ Gavel. Der arme Gruebler muß sich nun schon seit fast 3 Wochen meine Lobeshymnen auf den Gießener Ex-Pointguard anhören. Das Dumme ist: jedes einzelne Wort scheint inzwischen wahr zu werden. Die noch aktiven Spieler, deren Namen in Gießen ausschließlich mit Herzblut geschrieben werden, kann man an weniger als einer Hand abzählen. Tono ist einer davon. Spätestens nachdem ihn einige Gießener Fans in seinem ersten Jahr bei Polaris Murcia in Spanien besucht haben, muß ihm eigentlich klar sein, dass es hier nicht wenige Leute gibt, die seit seinem Vetragsende im Sommer 2006 tatsächlich jedes einzelne seiner Spiele aus der Ferne (wenn möglich bewegt und am PC) verfolgen und ihm heftigst die Daumen drücken. Der gerade 25 Jahre alt gewordene Slowake hat es einfach verdient, dass endlich ein BBL-Team auf diesen Rohdiamanten auf der Aufbauposition aufmerksam wird. Dass das nun gerade im Broseleiberl geschehen muß, tut schon ein wenig weh und läßt einen hierzulande schwer schlucken. Aber egal. Hau rein, Tono! Wann spielt Gießen gegen BBB? Höchster hessischer Feiertag, bitte unbedingt vormerken!

Ach Du dickes Ei: AI retirert. Iverson läßt keine Fragen mehr offen, hier seine vorläufig letzte Antwort.

* oder um es mit den Worten meines eierschalenbemützten Kükenfreundes Calimero herauszupiepsen: „Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!“

3 Gedanken zu „Drachentöter und Herzblut

  1. Sehr gerne. Es gibt nur ein Problem. Ich kann mich an beinah nichts mehr erinnern von dem Spiel. Nein, kein Ethanol und auch sonst nichts. Mir fehlen einfach nur fast die ganzen 2 Stunden vom Spiel. Diagnose: tranceinduzierte, retrograde Amnesie vor Freude.
    Zur Zeit kann ich nur dieses Video und die Spielanalyse einer 6jährigen bieten ;-), die auf Namensnennung besteht.

    Lotte: „Es war ein super Spiel. Die Männer haben hart gekämpft.“

    Therapie: Jetzt 12 Stunden schlafen und dann morgen das komplette scouting play-by-play durchlesen.

    • Oldschoolballer, du bist einfach unübertroffen… Warum sollte man mehr als zwei Zeilen plus ein Video bloggen, wenn Lotte es auf den Punkt bringt?

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