Der dritte deutsche Europapokaltitel ist lila

Aufrichtige Glückwünsche gehen heute nach Göttingen. Die Basketballer der Universitätsstadt, über die ich wahrlich nicht immer wohlwollend schreibe, haben dieses Wochenende mit einer sehr überzeugenden Vorstellung die FIBA EuroChallenge gewonnen. Es ist der dritte Titel eines deutschen Clubs in einem europäischen Vereinswettbewerb nach ALBA Berlin (Korac Cup 1995) und dem MBC (FIBA Europe Cup 2004).

Wer noch einmal nachlesen will, wie ich Göttingen vor der Saison unterschätzt habe, möge dies hier tun. Aber was interessiert mich mein Gewäsch von gestern. Im Bruderkampf der Basketballfans konnte heute mein kleiner Bruder an seinem Geburtstag (er wird ihn wohl kaum vergessen) jubeln: Seine Göttinger gewannen, und auch meine Berliner hatten sie erst vor Wochenfrist bezwungen. Wenngleich letzteres schmerzt, gönne ich ihm – und allen Göttinger Fans – ersteres von Herzen.

Göttingen ist das Comeback-Team der Saison. Mehrfach bewiesen sie in den letzten Wochen, dass sie gegen starke Gegner auch teils deutlich zurück liegen können und das Spiel trotzdem zu drehen vermochten. Zuletzt war dies am Freitag gegen Roanne der Fall. Wohl so mancher am Ticker dürfte die Göttinger abgeschrieben haben, als sie in der ersten Halbzeit klar zweistellig zurücklagen und auch in Foultrouble gerieten. Doch am Ende zog die Defense und McNaughton, dem in der Hauptrunde wohl nicht allzu viele die größte Bedeutung beigemessen hätten, machte ein bärenstarkes Spiel und Göttingen konnte gewinnen.

Heute war es fast ein Start-Ziel-Sieg. Göttingen setzte sich gleich zu beginn gut ab. Viele Veilchen trugen sich auf dem Scorebogen ein, doch zum Ende des ersten Viertels konnten die Russen noch einmal ausgleichen. Das zweite Viertel war von starker Defense und miesen Wurfquoten geprägt… bis kurz vor dem Ende. Ein beeindruckender 7-Punkte-Lauf sorgte für die klare Führung zur Halbzeit. Die gaben die Göttinger dann nie wieder her. Natürlich war das Spiel weiter spannend und abwechslungsreich, doch eben klar von den Göttingern bestimmt. Auf dem Feld und auf den Tribünen sowieso. Die großartige Stimmung in Weiß-Lila auf den Rängen machte aus dem Final4 der Eurochallenge ein Basketballfest und ein Heimspiel. Im Stream der FIBA Europe lobten die Kommentatoren die Fans, aber auch die Location über den grünen Klee. Und ja, das was dort in Göttingen entstanden ist, ist ein sehr beachtliches Projekt.

Warum ist Göttingen so erfolgreich? Es ist mehr als nur 40-Minutes-of-Hell. Das war es vermutlich letzte Saison, aber diese Saison kamen neue Dimensionen hinzu. Mit Taylor Rochestie ein beeindruckender Scoring Pointguard, die Explosion des deutschen Chris McNaughton der die letzten Jahre in der dritten spanischen Liga, der LEB Silver versauerte. Ex-Berliner Robert Kulawick, der in Göttingen Selbstvertrauen und sein Spiel gefunden hat. Auch alte Bekannte aus der Liga wie Michael Meeks findet man in Göttingen wieder. Dazu ein Quartett, das schon letzte Saison maßgeblich war: Boone, Little, Jacobson, Oliver. Es ist ein klar erkennbares Konzept. Es ist eine Mannschaft mit klaren Rollen, viel Freiräumen und einem eigenen Stil. Man muss den Stil nicht mögen, aber großen Respekt verdient der so konsequent verfolgte und eingeschlagene Weg nichtsdestotrotz. Treffend besungen wird er in der nun wohl legendär werdenden Teamhymne:

Das lila Europapokalwunder, hat dem deutschen Vereinsbasketball durch diesen Sieg einen riesigen Dienst erwiesen. Als Finalteilnehmer der EuroChallenge winkt – was ich bislang nicht wusste – ein EuroCup-Startplatz. Dies führt möglicherweise dazu, dass ein deutsches Team mehr sich in einem höherklassigen Wettbewerb präsentieren kann. Nicht nur dieser Gewinn der  EuroChallenge, sondern eben auch die Möglichkeit zum nächsten Schritt ist wichtig, damit deutscher Basketball in Europa mittelfristig mehr als nur belächelt wird. Sportlich haben wir – dank Göttingens Titel in der drittklassigen Eurochallenge, Bambergs gutem Abschneiden und ALBAs Finaleinzug im zweitklassigen EuroCup  – diese Saison Frankreich  hinter uns gelassen. Doch das inoffizielle europäische 3-Jahres-Ranking von in-the-game.org zeigt, dass gerade in den beiden europäischen Spitzenwettbewerben der ULEB noch eine Menge Arbeit wartet, damit der diesjährige Erfolg kein Strohfeuer bleibt. Zu häufig waren deutsche Teams, zuletzt auch der letzjährige Meister Oldenburg mit einer blamablen 1:9 Bilanz in der Euroleague und Vize Bonn mit 1:5 im EuroCup,  hier Kanonenfutter. Damit sich dies ändert ist noch viel Arbeit an den Strukturen, der Kontinuität und ja, auch der Qualität der Liga zu leisten. Ein gutes BBL-Team macht noch kein Euroteam.

Ich wünsche der Liga und Göttingen, dass sie auf diesem Erfolg aufbauen können. Wer heute im FernsehenInternet die Bandenwerbung sah, musste erkennen, dass dieser Erfolg vornehmlich von lokalen Sponsoren getragen wird: Sparkasse Göttingen, Freizeit Inn, Lotto-Sportförderung, irgendein Brillen-Dings. Das wird nicht reichen, um auf der Grundlage dieses großen Erfolgs den nächsten Schritt zu machen. Das letzte Sponsorendrama ist gerade erst verdaut. Es ist Zeit für die Sportartikelfirma, die dieses tolle Projekt fördert, Zeit für die überregionalen Sponsoren zu begreifen, dass Lokhalle und lila Wunder eine phantastische Bühne sind. Ein Basketballtraditionsstandort ist zurück und mit großem Schwung. Es wäre schade, wenn es am Ende am Geld liegen würde, dass dieses Konzept und dieses Team nicht mit Kontinuiät den nächsten Schritt gehen kann.  Und wo ist schließlich der Fernsehsender, der nächste Saison den EuroCup und die Euroleague ins deutsche Fernsehen bringt und der breiten Masse zeigt, welch begeisternder Sport auch von deutschen Mannschaften in Europa geboten wird?

6 Gedanken zu „Der dritte deutsche Europapokaltitel ist lila

  1. Danke für – endlich einmal ? – nette und positive Zeilen über Göttingen. OK, der Standort hat Tradition, keine Frage. Aber die BG ist vor drei Jahren erstmalig und relativ überraschend aufgestiegen. Kaum Geld vorhanden, Aktionen wir „Gemeinsam in die 1. Liga“, um den Mindestetat stemmen zu können und Überlegungen, ob man sich überhaupt um die Lizenz bemühen könne, prägten diese Tage.

    Man fand mit der Lokhalle eine tolle Spielstätte, die ich nicht mehr missen möchte. Wirklich einmalig, aber mit zwei großen Problemen: Das Team kann dort kaum (bis fast gar nicht) trainieren, ein wirklicher Heimvorteil entwickelt sich erst spät in der Saison. Und noch schlimmer: Die Halle ist extrem teuer pro Heimspiel, der Aufbau von Tribünen etc. dauert m.W.n. ganze zwei Tage.

    Okay, das erste Jahr wurde recht gut gemeistert, Platz 14 mit der bekannten „Guard-Terror“-Geschichte. Jeder Zentimeter kostet Geld…

    Vor dem zweiten Jahr äußerte Trainer John Patrick, mit der BG in den nächsten Jahren anzustreben auch international zu spielen. Basketball-Deutschland erklärte ihn für verrückt (inkl. der eigenen Fans). Nun hat die BG erstmals teilgenommen, wollte eigentlich nur mal schauen und hoffentlich nicht alles verlieren. Und heute DAS!! In Göttingen glaubt man momentan zu träumen, ist doch klar.

    Aber das von Grübeler angesprochene Finanzdilemma schwebt nach wie vor über der BG. Man ist in den ganzen drei Jahren nie auf Rosen gebettet gewesen. Der Etat liegt nie weit über dem Mindestetat (man darf z.B. den finanziellen Aufwand für die Bereitstellung der Spielstätte nicht vergessen, die eigentlich Eventtempel ist und jeweils wochenweise gemietet werden muss – das erste Playoffspiel findet z.B. in Kassel statt, weil eine Ausstellung lange für diesen Termin in der Lokhalle geplant ist.) Ein weiteres Indiz ist der mittlerweile bekannte Einsatz der BG-Kleinbusse für Auswärtsfahrten, einer der Fahrer ist übrigens der Trainer. Dass dies (fast) ausschließlich am Spieltag geschieht, auch wenn man durch die halbe Republik muss, versteht sich in Göttingen fast von selbst.

    Die Sponsorensituation ist nach wie vor nicht rosig. Der einzig größere Deal war das traumatische Namenssponsoring mit dem dubiosen und mittlerweile insolventen Versicherungsvermittler aus Kassel. Ansonsten gibt es eine breite Basis kleinerer und fast ausschließlich regionaler Sponsoren. Gut, die Region trägt das Projekt, aber große Sprünge sind nicht drin, das Wegfallen einzelner Sponsoren tut jedesmal weh (auch wenn es das Kartenhaus nicht zum Einsturz bringt).

    Leider hat es die BG weder mit dem sehr erfolgreichen Basketball der letzten beiden Jahre, noch mit dem beachtlichen und beachteten Erfolg in Europa bislang nicht geschafft, größere Sponsoren an Land zu ziehen. Ebefalls gibt es weder Trikotsponsor noch Namenssponsor.

    Dies ist alles sehr bedauerlich. Göttingen hätte diese breitere Basis, verbesserte finanzielle Mittel etc. wirklich verdient. So bleibt Basketball-Bundesliga in Göttingen ein Ritt auf der Rasierklinge.

    Unter diesen Gegebenheiten sind die Erfolge erstaunlich.

  2. danke @Gruebler für diesen sehr aufrichtigen Beitrag. Nach durchfeierter Nacht, mit fast dem gesamten Team hinter dem DJ-Tisch, mit Biggs & Trushkin und den Tanzmäusen aus Samara auf der Tanzfläche setzt sich so langsam, was sich hier am Wochenende ereignet hat. Aber: keine Atempause, heute abend Meisterfeier am Alten Rathaus um 18 Uhr, nen Balkon haben wir immerhin und das Grünflächenamt hat in weiser Voraussicht lila Stiefmütterchen gepflanzt.
    Doppelt symbolisch wg. der Farbe, aber auch wg. des Verhältnisses BG zur Region. Sicher, bei den Fans ist das Ereignis trotz aller Zweifel im Vorfeld angekommen, bei Wirtschaft und den Offiziellen immer noch nicht richtig. Und beim zdf sowieso nicht: Berichterstattung im Morgenmagazin Fehlanzeige! Vertreter aus Politik und Wirtschaft (ausser OB Meyer am Finaltag) ebenfalls Fehlanzeige.
    Leider aber keine Zeit zu Jammern, die Playoffs warten nicht – Geschichte muss weiter gemacht werden. Welche Ironie, dass die Fehlfarben ausgerechnet am 8. Mai in Göttingen gastieren, während wir versuchen den Nordhessen das kleine Einmaleins des Basketball näher zu bringen ……
    Für die PO ist der große Druck weg, man muss hier nichts mehr beweisen. Viel wichtiger ist für die Zukunft, dass nun bald die Vertragsverlängerung mit JP unter Dach und Fach gebracht werden. Die ersten T-Shirts mit dem Aufdruck: ohne Patrick keine Dauerkarte waren am Wochenende schon in der Halle zu sehen!

    • Aber in die Sportschau habt ihr es gestern geschafft. Das ist schon verdammt gut.

      Es dürfte klar sein, dass, wenn man Typen wie Rochestie, Jacobson und Co. – aber auch Spieler wie Kulawick oder McNaughton in Zeiten der Quotensteigerung – halten will, man deutlich mehr Geld auftreiben muss. Ich denke, dass dies nur mit regionalen Sponsoren nicht zu stemmen sein wird.

      Natürlich ist der Coach in Göttingen eine Schlüsselfigur, aber – da brauchte ich lange, um es zu erkennen und das Kistenschlepper-Vorurteil abzulegen – die Stärke von Göttingen ist eben auch, dass mittlerweile ein eingespieltes Team vorhanden ist, das es zu halten gilt und für den Eurocup vielleicht auch punktuell verstärkt werden müsste.

      Aber das ist Arbeit für das Management in den nächsten Wochen. Die nötigen Argumente haben sie nun an der Hand. Und Begeisterung hilft beim Verkaufen:

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