Ein Gastbeitrag der EM-Expeditionsteilnehmerin Kepta Duona, die uns die unmenschlichen Strapazen einer EM-Reise nahebringt (ohne die allerdings auch alles nur halb so lustig und interessant wäre. Dies gilt für beides: die Strapazen und die Teilnehmerin ;-) ):
Wer hätte das denn ahnen können? Das zu Hause noch derb verfluchte Siauliai war der reine Basketball-EM-Himmel und wo sind wir dann gelandet? In Vilnius… In Siauliai war alles toll, die Stadt angenehm, die Leute nett, es gab offene Restaurants bis spät nachts, die Halle war super, freies W-LAN vorhanden, Beinfreiheit, die Toilettensituation entspannt und die Letten wider Erwarten ausgesprochen friedlich und unalkoholisiert. All unsere mitgebrachten Befürchtungen wurden schnell zerstreut.
In Vilnius sieht das anders aus. Die Halle ist ebenfalls toll. Allerdings besteht die akute Gefahr, wenn man sich alle drei Spiele am Tag anschaut, eine Thrombose zu bekommen. Beinfreiheit ist ein Fremdwort und wenn man sich erdreistet seinen Fuß auf die Brüstung zu stellen kommt binnen kürzester Zeit ein wildgestikulierender Security-Herr und deutet auf deine Füße, was wohl so viel heißen soll, dass man bitte nicht die Beton-Brüstung kaputt machen soll. Wie auch immer. W-Lan ist nicht, die Toiletten eher inakzeptabel.
Apropos Security. Die ist nicht nur übereifrig, sondern auch zahlreich vertreten. So passiert man um auf das Gelände der Halle zu kommen zunächst einen Metalldetektor wie am Flughafen. Da dieser bei einer sehr sehr hohen Prozentzahl der Besucher piepst, wird man abgetastet, die Taschen durchwühlt und wenn das nicht geholfen hat nochmal abgetastet.
Nachdem einem nach dieser Kontrolle schon die kleine Digitalkamera und der zusammenfaltbare Regenschirm abgenommen wurden (die wohlbemerkt in Siauliai kein, aber auch wirklich gar kein Problem darstellten und der Regenschirm auf Grund der Wetterlage einfach notwendig ist) und man die 50 Meter bis zum Eingang der Halle zurückgelegt hat beginnt das Procedere erneut. Piepsende Scanner und viel zu viele Security-Menschen, die auf Körperkontakt aus sind. Der Weg zur Halle ist wohlbemerkt hermetisch abgeriegelt, sodass es ein Ding der Unmöglichkeit wäre einen gefährlichen Gegenstand, wie den kleinen, zusammenfaltbaren Regenschirm aufzutreiben und sich zu erdreisten diesen mit in die Halle nehmen zu wollen. Diskutieren ist auf Grund der ethnischen Kommunikationsbarriere zwecklos – ähnlich wie in Bamberg.
Man hat es also irgendwann in die Halle geschafft. Auch dort wimmelt es vom orangebewesteten Security-Personal. Mittlerweile hat sich bei uns ein Schlüsselreiz entwickelt, der bei jeder dieser Personen einen etwas gereizt die Tasche aufreißen lässt und man leicht bis mittelschwer geladen in der (durchaus berechtigten) Erwartung ist, dass diese (mal wieder) wild durchwühlt wird.
Auch die Nahrungsversorgung in der Halle hat sich nicht verbessert. Im Gegenteil. In Siauliai gab es noch Cola Zero und Light. In Vilnius steht es zwar auf der Preisliste, jedoch sucht der charmante Verkäufer vergeblich. Okay, wird wohl nur an diesem Stand ausverkauft sein. Neuer Stand, neues Glück. Aber auch hier nur unverständliches Kopfschütteln. Na gut, alle guten Dinge sind Drei. Aber auch hier – Fehlanzeige. Gibt’s halt die braune Brause mit Zucker, das kompensiert dann kalorienmässig die fehlenden vegetarischen Alternative beim Fastfoodangebot. Da die Halle extrem weit ausserhalb liegt, sind Restaurants leider kaum eine Option. Hier oben auf dem Berg gibt es keine, und die meisten in der Stadt schliessen wochentags um 22 Uhr, ca. 1 Stunde vor Ende des dritten Tagesspiels. Ganz zu schweigen von der Elend langen Rückfahrt in überfüllten Bussen oder Trolleys (Sonderbusse oder gar Shuttlebusse wie in Siauliai existieren selbstverständlich nicht. Wozu auch bei höchstens 12.000 Zuschauern, die in die Stadt zurück müssen?)
Nach dem zweiten Spiel des Tages geht es dann Dank einer längeren Pause zwischen den Spielen in das hinter der Halle gelegene Einkaufszentrum. Hierzu passieren wir das Fangelände, wo man ein weiteres Mal durchsucht und abgetastet wird. Und auf dem Rückweg dasselbe nocheinmal. Kennen wir bereits, ist nichts Neues- lustiger wirds davon nicht.
Im Einkaufszentrum angekommen und vom Hunger getrieben finden wir gleich in der dritten Etage des Komplexes die Restaurants. Nachdem wir bei Pizza Hut ca. 20 Minuten angestanden haben, wird uns eröffnet, dass gerade keine Pizza mehr vorrätig ist und wir mindestens weitere 20 Minuten warten müssten. Wir entscheiden uns um. Ich wähle einen Thai-Imbiss der vielversprechend aussieht (und Paderborner Bier verkauft, was wohl eher nicht als Qualitätsmerkmal dient). Das hält mich aber nicht von meiner Bestellung ab. Wer konnte allerdings ahnen, dass die Frage, ob denn zu dem Gemüse Reis gereicht wird, die Dame nahezu zum Nervenzusammenbruch bringt. Sie kreischt mir unzählige Male „NO RICE, NO RICE.“ entgegen. Nachdem ich anschließend die Frage gestellt habe, ob es denn möglich sei zusätzlich Reis zu bestellen und zu bezahlen, wiederholte sich das Ganze. Nur in einer deutlich erhöhten Lautstärke und Frequenz. Als ich dann mit ihr eine Diskussion beginnen wollte, warum ich bitte keinen Reis bestellen könne – da dieser bei nahezu jedem Gericht sowieso dazu gereicht wird – holte sie ihre Kollegin, die mir bestätigte, Reis bestellen zu können. Lediglich noch 10 Minuten warten. Das schaffte ich – gerade so.
Nachdem das Essen runtergeschlungen wurde, da sich die Pause zwischen Spiel zwei und drei dem Ende entgegen neigt und wir keinesfalls die litauische Nationalhymne verpassen wollen, geht es zurück zur Halle. Die Scanner sind mittlerweile auf Grund des Regens abgebaut, man wird lediglich abgetastet und die Tasche durchwühlt. In freudiger Erwartung und absolut genervt strecke ich dem Sicherheitsmann meine Tasche weitaufgerissen entgegen und sage ihm, dass bei den ersten zehn Kontrollen bereits alle lebensbedrohlichen Gegenstände entfernt wurden. Der Arme verstand ausnahmsweise Englisch und war etwas verdattert über meine latente Aggression. Naja, das nennt man dann wohl persönliches Einzelschicksal.
Was außerdem ein spaßmindernder Faktor ist, ist die Tatsache den Live-Kommentar Frank Buschmanns nicht hören zu können. Die legendären Sprüche gibt’s dann zwar nach den Spielen zum Nachlesen bei Facebook, aber das ist irgendwie nicht das Gleiche.
Was mich außerdem spätestens beim nächsten Spiel der Franzosen zur Weißglut treiben wird, ist deren Schlachtruf. „Allez les Bleus! Allez les Bleus“ in Dauerschleife 2 Stunden ohne Unterlass ist kein Spaß. Wirklich nicht. Nicht nur, dass der Rhythmus total langweilig und monoton ist, auch der Tonfall ist absolut nervtötend. Und es wird auch von Spiel zu Spiel nicht besser. Nach dem sechsten Spiel der Franzosen, das ich bis dato bei der EM gesehen habe, frage ich mich doch immer wieder, warum es keinerlei Variation gibt. Gehen die französischen Fans sich nicht selbst auf den Nerv? Warum ist noch keiner der Spieler ausgetickt und hat einem der Fans die Trommel über den Kopf gezogen oder die Tricolore um den Hals?
Die „Deutschland, Deutschland“-Rufe der deutschen Fans halte ich allerdings ebenfalls für fragwürdig. Bin ich denn die Einzige, die dann in ihrem Kopf ein „über alles“ daran assoziiert? Genauso wie „Sieg“-Rufe in Verbindung mit dem Hochstrecken der Faust oder gar ausgestreckten Hand bei einem Länderspiel. Ein wenig Feingefühl sollte doch vorhanden sein. Insbesondere bei einem Sieg gegen Israel. Wäre dann ein Finalsieg bei der EM der „Endsieg“?!?
Entschädigung für das alles gab die Atmosphäre in der Halle beim Spiel Serbien – Litauen. Nie zuvor habe ich ein solch lautes und enthusiastisches Publikum erlebt, nie zuvor hatte ich nach einer Nationalhymne Gänsehaut.
Ich möchte Litauen unbedingt in Kaunas spielen sehen. Ich möchte dieses basketballverrückte Völkchen weiter feiern sehen, jetzt wo Deutschland raus ist, gibt es da keine verteilten Sympathien mehr. Ich möchte, dass Litauen Europameister wird.
GO LIETUVA!!!